4:30. Roadbook einfädeln. Nerven und Regen schwach, es ist noch stockfinster. Konsequent wickel ich das Roadbook schief in den Halter und bin knapp davor meine Contenance zum Teufel zu schicken und die am Vorabend mit Textmarkern bunt eingefärbte Papierrolle schwungvoll hinterher zu schießen.
Meine Teamkolleginnen und Kollegen gehen weit aus entspannter an die Sache und sind 1 Stunde vor dem Vorstart noch mit Augenreiben und Anziehen beschäftigt. Als dann 2 Teilnehmer mit weit höherer Startnummer an unserem Camp vorbeifahren, schlägt’s mir die Sicherung raus. Ich starte meine Husky und bin dahin im noch Schwarz der Nacht. Da die 2 aber eigentlich nur zum Frühstücken ins Festzelt fahren, stehe ich viel zu früh im Hohenmölsener Bergbaugelände und vermute bereits jetzt erste Mängel meiner Navigationskünste. Die Orga trifft ca. 15 Minuten nach mir ein und stellt mal die im Roadbook markierten Startfahnen und Tafeln auf.
Learning 1 des ersten Renntages: versuch’s mal mit Gemütlichkeit.
Der Start bei der Baja300 war nach der frostigen Erfahrung beim Snowspeedhill Race 2012 erst die 2. Möglichkeit, mich mit dieser speziellen Mischung aus Anspannung und Konzentration bekannt zu machen, diesem Moment, in dem Du auf das Senken der Startflagge oder das Umspringen der Ampel auf Grün wartest, diesem Moment, in dem Du an nichts anderes denkst, Du das „Go“ des Startleiters hörst, Dich nach vorne beugst, Dich mit dem Drehen am Gas aus dem Stand ins Rennen drückst.
Die ersten Bilder im Roadbook konnten erfolgreich weitergedreht werden, nach den ersten 3 Abbiegern dann das erste Selbstgespräch in den huberschen Helm „Na servas, die Breslau wollt ich eigentlich net fahren“. Das Unwetter am Vortag hatte aus dem lockeren Bergbau Erdreich einen dunkelbraunen bis schwarzen, an vielen Stellen, breiigen Schlamm gezaubert.
Wie ich auf den ersten Kilometern ohne Sturz da durchkam, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Moppeds und Fahrer trugen innerhalb kurzer Zeit durchgängig die selbe, einheitliche Farbe: Schlamm. Auf Grund der ohnehin durch den tiefen Boden anspruchsvollen Strecke war das Navigieren nun noch fordernder. Schiel‘ mal mit einem Auge auf Roadbook und Tripmaster, wenn beide Augen stetig und genauso verzweifelt nach fahrbaren Spuren suchen. Irgendwann traf ich auf Teamkollegen und x-fachen Dakar Physiotherapeuten Cornell, der bei der Baja300 nicht nur unsere verkrampften Muskeln bearbeitete, sondern als beherzter Rallyepilot selbst am Rennen teilnahm. „Sollen wir ein Stück gemeinsam fahren?“ Dankend nahm ich das Angebot an, Cornell blieb als seelische Unterstützung hinter mir, ich navigierte voraus, um den Umgang mit meinen Gerätschaften weiter zu üben. Und weil alles so gut klappte und ich mich auch die weiteren Kilometer sturzfrei durch den Schlamm arbeitete, trennten wir uns nach der Tankzone wieder, damit Cornell sein Tempo, welches deutlich über meinem lag, fahren konnte.
Etwa 3 Minuten später steckte ich knietief im schwarzen Brei. Bei jedem Versuch mein Mopped irgendwie wieder hochzubekommen, versank die Huber selbst tiefer und tiefer im Sumpf. Ja, jetzt machte sich dezente Verzweiflung in mir breit. Hilfesuchend drehte ich meinen noch beweglichen Rumpf. Ich erblickte ein Schlachtfeld. 80% der Moppedfahrer, die in das Schlammloch reinpreschten, blieben mit unterschiedlichsten Abstiegsszenarien, sehr beliebt über den Lenker, weil das Vorderrad plötzlich weg war, im Morast hängen. Der Blick nach vorne versprach Rettung, denn ein Helfer in oranger Warnweste hievte unweit von mir ein Mopped hoch. „Guide!!! Hallo, ich brauch Hilfe!!!“ Der vermeintliche Guide wollte eigentlich nur Fotos machen, half mir aber trotzdem.
Zusammen mit 2 Fahrern, deren Bikes das Schlammbad so zusetzte, dass sie nicht mehr weiterfahren konnten, wurde zuerst die schmutzige Frau, danach das ebenso eingesaute und durch den Schlamm mind. 15kg schwerere Mopped geborgen. Kurze Trinkpause, aufsteigen, weiter! Ca. 10 Minuten später folgte der nächste Abstieg. Diesmal nicht im Schlamm, sondern im Wasser. Eine „Pfütze“ im Ausmaß eines kleinen Sees spannte sich komplett von links nach rechts über den Weg. Umfahren nicht möglich. Im Vertrauen, ganz schlau zu sein, fuhr ich die Stelle ganz links aussen an. Weil: in der Mitte ist’s doch am tiefsten.
Learning 2 des ersten Renntages: es gibt Pfützen, die sind links und rechts gleich tief wie in der Mitte. Ich verschwand mit einem satten „Platsch“ mitsamt Bike im Wasser. Das Mopped war vollgelaufen, der Kickstart rührte sich keinen Millimeter. Aus, das war’s. Ich rief im Fahrerlager an und schilderte die Situation. „Zündkerze raus und kicken, dann schaffst Du das Wasser aus dem Bike!“ Tina versuchte mir über Telefon dabei zu helfen, doch noch weiterzufahren. Da bei der Husky Zündkerze ausbauen auch Tank abbauen heisst, war der Tag wirklich für mich gelaufen…ich hatte keinen Kerzenschlüssel dabei…
Ein Orga Jeep sammelte mich ein und brachte mich zusammen mit einer anderen liegengebliebenen Fahrerin zurück ins Fahrerlager.
Der tiefe Boden war alles andere als Material schonend. Viele Fahrer blieben stecken, Autos, Bikes, Quads, konnten erst spät am Abend mit Baggern geborgen werden. Für Fahrer ohne Mechaniker Unterstützung bedeutete dieser erste Tag oftmals das Aus der Rallye. Nicht für mich – denn ein weiterer Dakar erfahrener Gott seines Könnens verstärkte das Dirtgirls Team rund um Team Head Tina Meier als Fahrer und Mechaniker: Thorsten. Er legte meine Husky trocken, während sich Cornell um den bei mir verkrampftesten Teil meines Körpers kümmerte – das Huber Hirn.
Zu Learning 2 gesellten sich mit „wenn Du nicht weisst, wie tief eine Stelle ist, stell das Mopped ab und geh durch! Oder stell das Mopped ab und warte mal, bis ein anderer durchfährt. Du siehst dann ja, ob seine Spur gut war oder nicht. Und Du fährst Rallye, nicht Motocross, da geht es nicht um Sekunden. Nimm Dir die Zeit, am Ende bist Du damit schneller.“ Learning 3 und 4.
Die Tage bei Rallyes sind lang. Wunden lecken, alles für den nächsten Tag vorbereiten, Fahrerbesprechung, Roadbook bearbeiten – vor Mitternacht kommt man nicht ins Bett. Um 3:45 läutete dann schon wieder der Wecker.
Viel entspannter als am Vortag und diesmal nicht im Dunkeln, sondern in der Morgendämmerung startete ich in den 2. Renntag.
Und verfranste mich komplett kurz nach CP1. Weil wozu das GPS beim Kompasskurs verwenden, sind doch die Schnellen bereits spurenziehend den Kurs bestimmt korrekt gefahren. Die Spuren verliefen sich rasch und ich stand irgendwo im Wald. Das nächste Learning folgte: Navigiere selbst und verwende verdammt nochmal Dein GPS!
So ganz fremd war die Situation ja nicht für mich. Mich verfahren und allein in der Botanik stehen, das kenn ich. Weil auch ich aus Erfahrungen lerne, stellte ich mein Mopped mal ab, um die Umgebung per pedes zu erkunden und ein „noch weiter in die Sch**** reiten“ tunlichst zu verhindern. Steile Abrisse, also besondere Obacht, Frau Huber! Die steile Rinne bergab stapfte ich mal zur Hälfte runter „Grundsätzlich schon fahrbar. Aber wie es unten weiter geht ist nicht ersichtlich, ohne noch weiter runter zu gehen.“ Dafür war ich zu faul und ich verzichtete auf das Enduroabenteuer mit der durch den Rallyeaufbau kopfschweren Husky. Je schmaler der Weg, umso gefährlicher, also hielt ich nach Wegen Ausschau, durch die auch ein Auto fahren könnte und kam, durch den Schlamm gerollt, tatsächlich wieder zur Strecke. Die schnellen Fahrer zogen gerade an mir vorbei und trauten ihren Augen nicht, als ich mich von links aus dem Wald kommend wieder in die Spur einfädelte. Dass ich so zufällig einen Mörder-Track gefunden hatte, bestätigte mir der „Guide“ vom Vortag, als dieser mich jubelnd in Nähe der Tankzone anfeuerte „Wahnsinn!!! Weiter so!!!“ Ich kam ja quasi mit Speedbrain Dakarpilot Paulo „Speedy“ Concalves um die Ecke gebogen. Ja, so eine Husqvarna ist halt schnell ….
Tina Meier und Paulo „Speedy“ Goncalvez
Da die Baja300 durch den Rundkurs eine Sonderstellung bei der Streckenführung darstellt und das Roadbook für sämtliche zu fahrenden Runden am 2. Tag das selbe war, nahm ich mir vor, in der 2. Runde brav zu navigieren und alle CP s korrekt anzufahren. Vor einer, durch meinen Abkürzer mir noch unbekannten, steilen Abfahrt traf ich den „alten Griesgram“, ebenfalls ein Teamkollege des Dirtgirls Rallyeteams. Griesgrams Mopped streikte und ließ sich nicht mehr ankicken. Während einer kurzen Plauderei betrachtete ich mal die Abfahrt. Nicht nur steil, nein, auch besonders schlammig. Ein Fahrer nach dem anderen wischte den Waldboden unter vollem Körpereinsatz auf. Auch der auf den ersten Blick griffigere Weg ausserhalb der Spur durch die Bäume, brachte Hinterräder zum Rutschen und Fahrer zum Absteigen.
Ich nahm den Helm ab. „Bis ich mir für diese Abfahrt genug Mut zugeredet habe, können ein paar Minuten vergehen“. Also die Zeit gleich nutzen und was essen und mit Griesgram tratschen. Währenddessen verweigerten etliche Fahrer die sofortige Abfahrt, zumindest war ich mit meinen Ängsten nicht alleine. Gestärkt und motiviert setzte ich schließlich an, den Weg zwischen den Bäumen zu finden. Die ersten 2 Drittel klappten ganz gut, je weiter unten, desto mehr Bäume und auch ich klatschte am Boden auf. Das Mopped im steilen rutschigen Hang wieder aufzustellen, bereite natürlich besonders viel Freude, rutschten mir die Füße doch beim Anheben des Bikes immer wieder weg. Die anderen Fahrer waren selbst mit Überleben beschäftigt, aber selbst ist auch die kleine Frau und irgendwann stand das Ding wieder.
Meine Lunge hing gefühlt bis zu den Knien heraussen und unterm Helm dampfte der letzte Rest meines Kampfgeistes. Keine Ahnung, ob ich geschrien hab, auf jeden Fall wurde ich unten von den Dirtgirls Ina, Petra und Anja jubelnd erwartet. Die Mädls waren ja perfekt nach Roadbook gefahren und noch in ihrer ersten Runde. Ich war stolz auf sie, dass sie sich schon soweit durchgekämpft hatten. Wir fuhren ein Stück gemeinsam, das Schlimmste schien vorbei zu sein und endlich fiel der Blick auf eine lange, trockene Gerade. Also Gas auf und mal wieder etwas schneller. Den Abgang über den Lenker fing ich ungewollt aber sehr geschickt mit einer Rolle vorwärts ab. Eine fiese Querrille hatte mein Vorderrad verschluckt.
Kurze Schadensüberprüfung an Körper und Bike, alles gut, Mopped aufgestellt, mal zu Cornell getuckert, der rechts vor mir meine Flugkünste beobachtet hattet. Kupplungsdefekt, leider Aus für den Teamkollegen. Weiter! Und wieder Sumpf und wieder ungewolltes Breslau Rallye Training. Bild für Bild, nur tiefer klebriger Schlamm.
Ich verlor in diesem Abschnitt viel an Substanz. Den ganzen restlichen Weg bis zur Tankzone motivierte ich mich bereits für die 3. Runde. „Ich will unbedingt noch eine Runde fahren! Ich will fahren!“ Kurz überschlug ich die letzten Checkpoints. Das waren ja nur 2 mehr als in der ersten Runde. 2 Checkpoints, die extrem hart zu erarbeiten waren. Ich entschied mich kurz vor der Tankzone dazu, die 3. Runde wieder über „meinen“Track aus der ersten Runde zu fahren, absichtlich auf 2 CPs zu verzichten, dafür aber garantiert weitere 5 zu schaffen.
Meine Taktik ging auf. 30 Minuten vor Rennende fuhr ich ins Ziel und fühlte mich wie ein Sieger. Geschafft! Meine erste Rallye! Ich war müde, total verdreckt, alles war nass, aber ich war stolz, unendlich stolz. Tina, mein Servicemann Woifei, die Dirtgirls Ina und Petra jubelten mit mir, als ich in den Zuschauerbereich einrollte. Fremde Menschen sprachen mich an und wollten ein Foto mit mir. Ich war ein Sieger in diesem Moment.
Dass ich nicht nur in diesem Moment ein Sieger war, sondern sogar 2. platzierte Dame hinter der Österreicherin Esther Kammer, toppte dieses sensationelle Erlebnis natürlich noch.
Ohne Team wär das nicht möglich gewesen. Vielen vielen Dank!
Zur Veranstaltung:
Die Baja300 Mitteldeutschland wurde heuer gemeinsam mit dem 24 Stunden Endurance Day ausgetragen. Die Rallye ist eine lizenzfreie Wettbewerbsveranstaltung für Bikes, Quads, Autos, Side by Sides und Racetrucks. Sehr gut organisiert, für Rallyeeinsteiger durch den Rundkurs sehr gut geeignet.
Dennoch nicht zu unterschätzen ist der Untergrund in dem aktiven Bergbaugebiet. Trocken extrem staubig, nass, wie bereits geschildert, sehr anspruchsvoll und schlammig.
Das Miteinander der Teilnehmer fiel genauso positiv auf, wie die freundliche und zuvorkommende Orga.
Eine tolle Veranstaltung!
http://www.baja300-mitteldeutschland.de/de/facts
Rallyeaufbau http://www.hasi-moto.at/index.php/rallye
Fotos:
Robert W. Kranz, Rallyewerk.com
Thomas Poppe (Bob)
Dirtgirls