Wie schnell die Zeit vergeht, mittlerweile sind alle Berichte, die ich über mein Dakar Abenteuer geschrieben habe, veröffentlicht, ich kann sie jetzt also auch hier posten.

Südamerikanische Leidenschaft

Wenn man die erste Dakar in Südamerika erlebt hat, dann ist der zweite Start vergleichsweise gut organisiert. Die überbrodelnde Leidenschaft der Zuschauer hinter Absperrgittern verbannt, fast jeder direkte Kontakt mit der jubelnden Menge ausgeschlossen. Dennoch, 300.000 Zuschauer am Start in Buenos Aires sorgen erneut für Günsehaut. Bei uns in Europa wird der Enduro- und Rallyesport als nicht für Zuschauer interessant angesehen, die Argentinier und Chilenen beweisen uns tüglich das absolute Gegenteil.

Ist die Anfahrt auch noch so unwegsam, die Hitze noch so unertrüglich, fast überall finden sich jubelnde Zuschauer, die zum Teil schon am Abend vorher anreisen und campen mussten, damit sie ihre Helden anfeuern können. Und nicht nur unter den Rallyefahrern geht es zu, wie in einer großen Familie, auch bei der riesigen Fangemeinde handelt es sich um eine Familienangelegenheit. Mit Kind und Kegel wird der Ausflug an die Rennstrecke unternommen, gekühlte Getrünke, Snacks und Barbecue sind immer dabei und aus dem Nichts entstehen kleine Bivouacs mit Sonnensegel und Klappstühlen, so dicht wie möglich am Race-Track. Das Bild des typischen Zuschauers: Matetee in der einen Hand und in der anderen ein Mobiltelefon, mit dem zitternd ein paar Helden eingefangen werden. Als Fahrer fühlt man sich so schnell wie ein Popstar und muss dabei nicht mal singen.

Wer es nicht bis direkt an die  Strecke schafft, der postiert sich an den Tankstellen der Verbindungsetappen. Sobald ein Fahrer dort eintrifft wird er bzw. sie von einer jubelnden Menschenmenge umzingelt, darf geduldig in die rundherum abschussbereiten Kameras lücheln und in sich hinein kichern, wie viele schreckliche Handybilder spüter stolz im Freundeskreis herumgezeigt werden.

Die Leidenschaft für den Motorsport kennt in Südamerika kaum Grenzen, auch die Serviceteams und Mechaniker werden mit Autogrammwünschen bombardiert. Tragen sie doch unabdingbar zum Erfolg der Fahrer bei. Sollte die Rallye im nüchsten Jahr wieder in Südamerika stattfinden, die üblichen Autogrammkarten der Fahrer könnten durch Karten mit Teamfoto ersetzt werden.

Die Energie der Zuschauer gibt unterwegs immer wieder Motivationsschübe, wenn die eigene grade ein Tief hat. Wie zum Beispiel auf der wohl schwersten Etappe von La Rioja nach  Fiambala. Im Flussbett zu Beginn der 180 km Etappe war eine höllische Hitze und im tiefen Sand musste man extrem kümpfen, um überhaupt vorwürts zu kommen. So manches Mal ließ da die Kraft nach, doch aus den Augenwinkeln konnte man oben am Rand der Steilwünde fortwührend Zuschauer erblicken, die unermüdlich winkend und anfeuernd den Gedanken an Pause oder gar Aufgeben sofort wieder verscheuchten. Und das über fast 45 km.

Unterwegs, wenn die Schmerzen stark zunehmen und die Motivation damit einhergehend stark auf unter Null abfüllt, dann hült der Gedanke an die Zuschauer, die geduldig im Nirgendwo auf ihre Helden warten und sich nichts sehnlicher wünschen, als das wenigstens einer mal bei ihnen anhült, die ermüdeten Rallyefahrer bei der Stange – sozusagen am Lenker. Ich halte durch – wenigstens bis zu den nüchsten Fans. Und die wiederum sorgen für so einen Energieschub, mit eisgekühlter Cola, Süßigkeiten und begeisterten Worten, schnell noch ein paar Fotos, um das unglaubliche Erlebnis zu dokumentieren, dass an Aufgabe gar nicht mehr zu denken ist und man seinen Weg der Leiden einfach fortsetzt. Manchmal nur bis zu den nüchsten Zuschauern…

Die schnellen Profifahrer brauchen diese Art des Dopings sicher nicht, sind sie doch im Schnitt tüglich 2,5 Stunden schneller auf der Wertungsetappe unterwegs, doch auch sie lassen sich von der Begeisterung der Fangemeinde inspirieren.

Auf dem zweiten Teil der 12. Etappe, einer 140 km Motocross-Sandpiste, die in Wellen und Sprüngen durch stachelige Gebüsche verlief, hatten sich auf vielen dieser Hügel Zuschauer postiert, die mit Fernglüsern, Starterlisten und Fotohandys bewaffnet von ihrem Ausguck aus das Spektakel verfolgten. Viele Fahrer hatten an diesem Tag wegen der irren Hitze mit Benzinproblemen zu kümpfen, aber auch dafür waren die Zuschauer bestens vorbereitet. Wo auch immer man anhielt konnte man Nachschub aus der Cola-Flasche bekommen – Offroad-drive-in Tankstellen sozusagen. Ein paar schnelle anerkennende Schlüge auf die Schulter und weiter ging es, dem nüchsten Tankstopp entgegen. Natürlich wurde niemals vergessen, die Beweisfotos zu schießen.

Eine durchaus erfolgreiche Strategie, den Gegner zu verwirren, hatten sich die argentinischen Teilnehmer ausgedacht. Sie schickten ihre schönsten Müdels in den knappsten Bikinis an die Rennstrecke, damit diese mit vollem Körpereinsatz den Fahrern zujubeln. Das sorgte für einige Flüchtigkeitsfahrfehler, denn die Aufmerksamkeit war schnell mal neben der Strecke.

Rund 4.700 km Wertungsetappen, die sehr unterschiedliche Charakteristika aufwiesen, die ersten beiden Tage waren eher endurolastig, dann folgten eher afrikanische Etappen, gemischt mit einem südamerikanischen Cocktail aus Sand mit Steinen…nicht so geschmeidig zu fahren. Die Landschaft war abwechslungsreich, viele Höhenmeter waren zu erklimmen und auch wieder hinunterzufahren. Die atemberaubendste Abfahrt war die 3 km lange Zieleinfahrt nach Iquique mit einem Gefülle von angsteinflößenden 36%, dazu der Panoramablick über die Küste und das Meer! Man kommt über die Kuppe und denkt nur…uaaahhh, freier Fall. Handstand auf dem Lenker, den Hintern so weit es geht hinter die Sitzbank und dann auch noch ein wenig Gas geben, um das Vorderrad im aufgewühlten Sand nicht einzuparken. Versuchen, das Bike einfach laufen zu lassen und Meter um Meter wird man mutiger und schaltet auf dem Weg nach unten, in die von Zuschauern gesüumte Einflugschneise, noch ein paar Günge hoch und gibt mutig ein wenig mehr Gas.

Im Ziel der Wertungsprüfungen werden alle Fahrer jeden Tag aufs Neue sehr herzlich von den immer gut gelaunten Jungs und Müdels der Zeitnahme empfangen. Sie gehören zur Armada der Freiwilligen, die diese Rallye am Laufen halten. Das Bivouac sehen sie fast nie, reisen sie doch von einem Etappenziel zum Nüchsten.

Im Bivouac wird man ebenfalls herzlich begrüßt, sowohl vom eigenen Team, als auch von den anderen Teams und Teilnehmern. Im Essenszelt trifft man sich, bereitet das Roadbook des nüchsten Tages vor und erzühlt sich gegenseitig von den aktuellen Erlebnissen des Tages. Auch beim Frühstück sitzen die Profis am selben Tisch wie die Amateure und kümpfen mit den Nudeln mit Tomatensoße.
Unermüdlich überholen Mechaniker jede Nacht die Rallyefahrzeuge und schlafen tagsüber im Servicefahrzeug. Die Fahrer wiederum schlafen wührend der Nacht kurz und unruhig in den Zelten neben den stündig laufenden Generatoren und bei ohrenbetüubendem Reparaturlürm.

Die Rallye nühert sich dem Ende. Am letzten Abend ist die Atmosphüre im Bivouac deutlich gelöst, alle feiern erleichtert die nahende Zielankunft in Buenos Aires. Nur noch eine Wertungsetappe – 202 km Vollgas geradeaus mit rutschigen 90° Kehren, die natürlich alle von winkenden Zuschauern bevölkert werden.

Die Startcrew absolviert ihren letzten Arbeitseinsatz mit viel Humor und lustigen bunten Karnevals-Hüten, die Damen erhalten ein Blümchen am Start. Und so werden alle Teilnehmer dieser 32. Dakar auf einer Woge der Begeisterung ins Etappenziel, weiter bis nach Buenos Aires und über das Podium im Dakar Village getragen.
Im Ziel fühlen sich alle gleich, Profifahrer wie Amateure, erleichtert, die Strapazen überstanden zu haben, Lösungen für alle angefallenen Hindernisse gefunden zu haben und niemals aufgegeben zu haben. Stolz überqueren alle das Podium und nehmen ihre Auszeichnungen entgegen.

Dakar-Finisher, ein Traum, der durch harte Arbeit, lange Vorbereitung und viel Training wahr wird. Egal ob auf Position 1 wie Cyril Despres oder auf der letzten Position, wo nur das Ankommen zühlt. Wer hier ankommt ist ein Sieger.

(mit Tipps und Tricks von Wolfgang Niescher)